Basil, Otto
(1901-83)

Seine Monographie über Georg Trakl von 1965, die Maßstäbe für dessen Verständnis und die hermeneutische Herangehensweise gesetzt hat, ist auch heute noch lesenswert. Einige ihrer Kernsätze, beonders zum Verhältnis Geschwister Grete und Georg, sind hier zitiert.

Sein Werk, aus reinster Lyrik bestehend, auffällig schmal im Umfang und eigentümlich monoton in der zumeist pessimistischen Aussage, ist von mythischer, magischer Schönheit.

Trakls Phantasien, in der Geschlossenheit ihres Symbolgehalts Märchen oder Mythen vergleichbar, wobei sie aber die inneren Schicksale einer einzigen Individualität verkörpern und daher die Zusammenhänge einer ganzen Persönlichkeitsentwicklung erkennen lassen, bieten nahezu das Idealbild eines neurotischen Systems; dieses ist hier hauptsächlich durch zwei Gegebenheiten strukturiert: durch Genialität und eine sexuelle Jugendsünde.

Trakls Schwester Grete ist eine interessante, ja singuläre Erscheinung; der dunkle Glanz ihres Geschlechts erhellte - oder verfinsterte - die Seele des Dichters. Sie ist Hauptakteurin auf der Bühne seines Lebens und in seiner Phantasie, er hat sie in eine Sagengestalt verwandelt, er mythisierte sie und verbarg im dichterischen Gleichnis ihrer beider dämonische Sinnlichkeit, indem er sich und sie zu einem Zweiwesen verschmolz, das von allem Geschlechtlichen entschlackt ist: Jüngling und Jünglingin, Fremdling und Fremdlingin, Mönch und Mönchin. Bis zum Tod hat er ihr "die Treue gehalten" - noch die allerletzen Gedichte rufen sie an, beschwören sie. Als er sich von seinem Gott verlassen sah, dem er zeitlebens nachgesonnen, nachgesungen hatte, als dieser Gott sich im galizischen Schlachthaus in Nichts auflöste, blieb ihm die Schwester als einzige sinnvolle Realität. An Trakls Ende steht nicht eine Fiktion, sondern ein Mensch!

Trakl hat die Schwester in die Spiegelwelt seiner Gedichte hineingenommen, er hat sie sich einverwandelt; es ist eine Art unio mystica, die die beiden verbindet, verkörpert, verfleischlicht und zugleich vergeistigt. Das körperliche Einswerden, im Inzestakt-Akt vollzogen, ist hier ohne tieferen Belang, weil es nie so vollständig und sättigend sein kann wie das geistige.

Jedenfalls gab es in Trakls Leben nachweislich keine einzige Frau, die von erotischer (leibseelischer) Dominanz gewesen wäre - Grete ausgenommen. Die Schwester soll für ihn schon in der Gymnasialzeit "das schönste Mädchen, die größte Künstlerin, das seltenste Weib" gewesen sein. wie Bruckbauer erzählt; über sie sprach er stets "aus innerer Notwendigkeit hymnisch". Auch berichten seine Jugendfreunde übereinstimmend, daß er die Inzestverherrlichung in Wagners "Walküre" eindeutig befürwortete.

 

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