Charles Baudelaire 9.4.1821, Paris - 31.8.1867, Paris.
Die Riesin
Zur Zeit, als die Natur, von wilder Kraft durchdrungen, Gewaltge Kinder trug, hätt ich nach meinem Sinn Bei einer Riesin gern gelebt, bei einer jungen, Wie eine Katze streicht um eine Königin. Wie Leib und Seele ihr bei grimmem Spiel erblühten Und wuchsen, hätt ich gern erschaut von Anbeginn, Erspäht, wie in der Brust ihr finstre Flammen glühten Und Nebel traumhaft zog durch ihre Augen hin. Mit Muße hätte ich erforscht die prächtgen Glieder, Gestiegen wäre ich die stolzen Kniee nieder, Und oft im Sommer, wann der Sonnen kranker Strahl Sie müde hingestreckt quer durch die weiten Wiesen, Hätt ich geschlummert in der Brüste Schattental, Gleich wie ein friedlich Dorf am Fuß von Bergesriesen.
(aus dem Französischen von Wolf von Kalckreuth) Der freudige Tote
Schwer soll der Grund und reich an Schnecken sein, Wo meine Gruft zu schaufeln ich begehre, Daß dort zum Schlaf sich streckt mein alterndes Gebein Und im Vergessen ruht gleich wie der Hai im Meere. Ich hasse Testamente, Grab und Stein, Und von der Welt erbettl ich keine Zähre; Nein, lieber lüde ich den Schwarm der Raben ein, Damit er stückweis mein verwesend Aas verzehre. O Würmer! Schwarz Geleit ohn Auge, ohne Ohr! Ein Abgeschiedner kommt, der froh den Tod erkor. Ihr Söhne des Zerfalls, die dem Genusse leben, Durch meine Trümmer kriecht mit reuelosem Mut Und sagt mir: kann es wohl noch eine Folter geben Für den entseelten Leib, der tot bei Toten ruht? (aus dem Französischen von Wolf von Kalckreuth) |