Georg Heym
30.10.1887, Hirschberg/Schlesien - 16.1.1912, Berlin.
Die Seiltänzer
Sie gehen über den gespannten Seilen
Und schwanken manchmal fast, als wenn sie fallen.
Und ihre Hände schweben über allen,
Die flatternd in dem leeren Raum verweilen.
Das Haus ist übervoll von tausend Köpfen,
Die wachsen aus den Gurgeln steil, und starren
Wo oben hoch die dünnen Seile knarren.
Und Stille hört man langsam tröpfeln.
Die Tänzer aber gleiten hin geschwinde
Wie weiße Vögel, die die Wandrer narren
Und oben hoch im leeren Baume springen.
Wesenlos, seltsam, wie sie sich verrenken
Und ihre großen Drachenschirme schwingen,
Und dünner Beifall klappert auf den Bänken.
Columbus
(12.10.1492)
Nicht mehr die Salzluft, nicht die öden Meere,
Drauf Winde stürmen hin mit schwarzem Schall.
Nicht mehr der großen Horizonte Leere,
Draus langsam kroch des runden Mondes Ball.
Schon fliegen große Vögel auf den Wassern
Mit wunderbarem Fittich blau beschwingt,
Und weiße Riesenschwäne mit dem blassern
Gefieder sanft, das süß wie Harfen klingt.
Schon tauchen andre Sterne auf in Chören,
Die stumm wie Fische an den Himmeln ziehn.
Die müden Schiffer schlafen, die betören
Die Winde, schwer von brennendem Jasmin.
Am Bugspriet vorne träumt der Genueser
In Nacht hinaus, wo ihm zu Füßen blähn
Im grünen Wasser Blumen, dünn wie Gläser,
Und tief im Grund die weißen Orchideen.
Im Nachtgewölbe spiegeln große Städte,
Fern, weit, in goldnen Himmeln wolkenlos,
Und wie ein Traum versunkner Abendröte
Die goldnen Tempeldächer Mexikos.
Das Wolkenspiel versinkt im Meer. Doch ferne
Zittert ein Licht im Wasser weiß empor.
Ein kleines Feuer, zart gleich einem Sterne.
Dort schlummert noch in Frieden Salvador.
Die Mühlen
Die vielen Mühlen gehen und treiben schwer.
Das Wasser fällt über die Räder her
Und die moosigen Speichen knattern im Wehr.
Und die Müller sitzen tagein, tagaus
Wie Maden weiß in dem Mühlenhaus.
Und schauen oben zum Dache hinaus.
Aber die hohen Pappeln stehn ohne Wind
Vor einer Sonne herbstlich und blind,
Die matt in die Himmel geschnitten sind.
Schwarze Visionen
An eine imaginäre Geliebte (1. Teil)
Du ruhst im Dunkel trauriger Askesen
In deinem weißen Tuch, ein Eremit,
Und deine Locken, die in Nacht verwesen,
Bedecken tief dein eingesunknes Lid.
Auf deinen Lippen gruben sich die Male
der toten Küsse schon in Trichtern ein.
Die ersten Würmer tanzen um das fahle
Vom Grubenwasser bleiche Schläfenbein.
Wie Ärzte stechen lang sie die Pinzette
Der Rüssel, die im Fleische Wurzel schlägt.
Du jagst sie nicht von deinem Totenbette,
Du bist verflucht, zu leiden unbewegt.
Des schwarzen Himmels große Grabesglocke
Dreht trüb sich rund um deine Winterzeit.
Und es erstickt der Schneefall, dicke Flocke,
Was unten in den Gräbern weint und schreit.
Der Affe
I
Er zittert oben hoch auf dem Kamel
In einem roten Rock auf seinem Brette.
Er klettert schnell herab auf den Befehl
Und schleift am Fuße nach die dünne Kette.
Er hüpft auf einem Bein. Er schlägt behende
Das Tamburin und bläst auf der Schalmei.
Dann geht er ab den Kreis und streckt die Hände
Nach Pfennigen aus, und dankt wie ein Lakai.
In seinem Auge rollt ein Feuer, weiß
Kalt wie ein Frosch, und seine Stirn gerinnt
In viele Runzeln, wie ein Greis
Uralt, und wie ein neugebornes Kind.
II
Er hält der Schläfer und der Wagen Wacht
Und hockt auf einem Stein an der Chaussee.
Tief in ihm klopft das Rätsel, und die Nacht
Des Eingekerkerten, das dunkle Weh.
Es kratzt in ihm nach einer kleinen Pforte,
Er sieht sich um voll Angst und starrt herauf
Zum Kreis der Sterne, die dem dunklen Orte
Schwach leuchten, in der dumpfen Stunden Lauf.
Das dunkle Volk der flatternden Plejaden
Huscht wie ein Fledermäuse-Schwarm dahin.
Der Wagen zieht auf seinen dunklen Pfaden
Stumm fort und ohne Last seit Urbeginn.
Es staunt das Tier. Da kommt mit gelbem Hut
Der Mond gerannt und stolpert durch den Grund.
Da duckt es sich, und matt verrollt sein Blut
Gebunden wieder in den Adern rund.
[1911]
Der Gott der Stadt
Auf einem Häuserblocke sitzt er breit,
Die Winde lagern schwarz um seine Stirn.
Er schaut voll Wut, wo fern in Einsamkeit
Die letzten Häuser in das Land verirrn.
Vom Abend glänzt der rote Bauch dem Baal,
Die großen Städte knien um ihn her.
Der Kirchenglocken ungeheure Zahl
Wogt auf zu ihm aus schwarzer Türme Meer.
Wie Korybanten-Tanz dröhnt die Musik
Der Millionen durch die Straßen laut.
Der Schlote Rauch, die Wolken der Fabrik
Ziehn auf zu ihm, wie Duft von Weihrauch blaut.
Das Wetter schwelt in seinen Augenbrauen.
Der dunkle Abend wird in Nacht betäubt.
Die Stürme flattern, die wie Geier schauen
Von einem Haupthaar, das im Zorne sträubt.
Er streckt ins Dunkel seine Fleischerfaust,
Er schüttelt sie. Ein Meer von Feuer jagt
Durch eine Straße. Und der Glutqualm braust
Und frißt sie auf, bis spät der Morgen tagt.
[1910]
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