Sergej Alexandrowitsch Jessenin
1895 (als Bauernsohn in Rjasan) - 28.11.1925, Freitod in Leningrad.
Des Abends Brauen sind eingesunken,
Fremde Pferde stehn unten vorm Haus.
Hab ich gestern die Jugend vertrunken?
War die Liebe zu dir gestern aus?
Knarre doch nicht, du verspäteter Wagen!
Wie unser Leben so spurlos verfliegt!
Morgen ist es vielleicht das Krankenhauslager,
Das denn vielleicht auf immer mich wiegt.
Morgen vielleicht, ein anderer wieder,
Geh ich geheilt die Straße voran,
Höre die Blätter, des Regens Lieder -
Davon erblühen die Kräfte im Mann.
Dann vergeß ich die Nacht und die Lüge,
Alles, was quälend mich fast zerbricht.
Antlitz, liebendes! Trauteste Züge!
Dich alleine vergesse ich nicht.
Mag ich mir auch eine andre erwählen,
Will ich doch ihr, zu der ich entbrannt,
Auch von dir, Geliebte, erzählen,
Die ich einstmals Liebste genannt.
Wie unser Leben, das nie verflossen,
Hinfloß, erzähl ich ihr später bei Nacht...
Du mein Kopf, voller Streiche und Possen,
Wozu hast du mich wieder gebracht?
[aus dem Russischen von Heinrich Stammler]
Das Lied vom Hund
Am Morgen warf die Hündin in ihrem Unterschlupf in
einem Roggenschober,
wo Strohmatten golden in einer Reihe glänzen,
sieben Junge,
sieben fuchsrote Welpen.
Bis zum Abend liebkoste sie sie,
indem sie sie mit ihrer Zunge kämmte,
und es floß der unter ihr getaute Schnee
unter ihrem warmen Bauch.
Aber am Abend, zu der Zeit, wo die Hühner
schon auf ihrer Stange sitzen,
kam der finstere Hausherr heraus,
steckte alle sieben in einen Sack.
Sie lief über Schneehaufen hin,
mühte sich, hinter ihm zu bleiben.
Und so lange, lange zitterte
die glatte Fläche des nicht gefrorenen Wassers.
Und als sie sich mit Müh und Not zurückgeschleppt hatte,
sich den Schweiß von der Seite leckend,
da schien ihr, als sei der Mond über der Hütte
einer von ihren Welpen.
Laut schaute sie in die blaue Höhle,
winselnd,
aber der dünne Mond glitt fort
und verbarg sich hinter dem Hügel in den Feldern.
Und dumpf, wie wenn man statt eines Stückes Fleisch,
das man einem Hunde aus Freundlichkeit gibt,
ihm zum Spaß einen Stein hinwirft,
rollten die Hundeaugen
als goldene Sterne in den Schnee.
[1915; aus dem Russischen von Ludolf Müller
zur Übersetzung von Rainer Kirsch]
Lied vom Hund
Morgens im Roggenschuppen,
wo die Bastmatten hängen, goldgelb,
sieben warf die Hündin,
sieben rotbraune Welpen.
Kämmte sie mit der Zunge
bis zum Abendrauch.
Es sickert geschmolzener Schnee
unter dem warmen Bauch.
Doch abends, wenn die Hühner
die Stange besetzen zum Schlaf,
kam der Hausherr, warf finster
die sieben in einen Sack.
Sie eilte ihm nach, sie lief
durch die Wehen, die Hügel.
Und so lange, lange zittert
des Wassers frostloser Spiegel.
Und als sie sich zurücktrug,
schwer und mit müder Zunge,
schien der Mond ihr über der Hütte
eins ihrer sieben Jungen.
In das Blaue sah sie, stand
helltönend, die Zähne gebleckt.
Dünn glitt der Mond, verschwand
am Hügel hinter dem Weg.
Und dumpf, wie von einem Brocken,
zum Gelächter geworfen von fern,
rannen die Hundeaugen
in den Schnee wie goldene Sterne.
[1915; aus dem Russischen von Rainer Kirsch
zur Übersetzung von Ludolf Müller]
Das Lied vom Brot
Da ist sie, die wilde Grausamkeit,
in der der ganze Sinn des Leidens der Menschen liegt!
Die Sichel schneidet die schweren Ähren,
wie man Schwänen die Kehlen durchschneidet.
Unser Feld ist seit langem wohlbekannt
mit dem Zittern am Morgen im August.
Das Stroh ist in Garben gebunden,
jede Garbe liegt wie ein gelber Leichnam.
Auf Wagen fährt man sie wie auf Katafalken
in die Getreidedarre, die ihr Grabgewölbe ist.
Und der Fuhrmann, der auf die Stute einschreit,
ist gleichsam ein Diakon, der den Begräbnisritus rezitiert.
Und dann bereitet man sie sorgfältig, ohne sich Böses dabei zu denken,
mit dem Köpfen auf der Erde aus,
und mit Dreschflegeln schlägt man die kleinen Knochen
aus den mageren Körpern heraus.
Niemandem kommt es auch nur in den Kopf,
daß das Stroh ja auch Fleisch ist!
Und der Menschenfresserin, der Mühle,
stopft man diese Knochen dann in den Mund, damit sie
sie mit ihren Zähnen zermahle.
Und aus dem Mahlkorn macht man Teig, durchsäuert ihn
und bäckt daraus Haufen von wohlschmeckenden Speisen...
Und da geht dann das weißliche Gift ein
in die Kanne des Magens, um dort die Eier der Bosheit zu legen.
Nachdem es alle Schläge, die der Roggen bekommen hat, übertüncht und
sie zu besonders knusprigen Stellen im Gebäck gemacht hat,
und nachdem es die Grobheit der Schnitter zu duftendem Saft gepresst hat,
vergiftet es denjenigen, die das Fleisch des Strohs essen,
die Mühlsteine ihrer Därme.
Und wie der Herbst pfeifen über das graue Land hin
der Scharlatan, der Mörder und der Bösewicht...
Deswegen, weil die Sichel die Ähren schneidet,
wie man Schwänen die Kehle durchschneidet.
[1921; aus dem Russischen von Ludolf Müller]
Gut ist: unterm Herbsthimmel schütteln
den Apfelbaum Seele im Wind
und still sehn, wie die Sonne das Flüßchen
mit blitzender Pflugschar zerschnitt.
Und gut: aus dem Körper schlagen
den Nagel des Lieds, der dich glüht,
und in Weiß, wie an Feiertagen
erwarten den Gast vor der Tür:
Ich lern, ich bewahr mir tief innen
die Farben, des Faulbeerbaumes Licht;
nur Kargheit wärmt die Gefühle,
wenn das Leck dir die Rippen bricht.
Einstürzt lautlos der Sterne Kirchturm.
Blätter, Kerzen fürs Morgenrot, glühn.
Ich laß niemanden in mein Zimmer,
ich öffne keinem die Tür.
[1918-9; aus dem Russischen von Rainer Kirsch]
Goldnes Laub dreht sich leis auf den Teichen,
Rosen liehen ihm sanft ihren Duft,
leichter Falter, die trunken entweichen
hin zu Sternen durch spiegelnde Luft.
Dieser Abend voll Liebe beglückt mich,
und das Tal ist dem Herzen ein Raum,
hob der Wind als er zärtlich vorbeischlich
bis zur Schulter den Birkenkleidsaum.
Durch die Seele fließt nun blaue Kühle,
hinterm schweigenden Gartentor zieht,
wo ich Dämmer wie Schafwolle fühle,
fern vorüber ein glockenhaft Lied.
Konnt noch nie mit Andacht belauschen
diesen Klang, der das Dorf nicht verläßt,
möchte tauchen ins plätschernde Rauschen
wie die Weide mit grünem Geäst.
Oder lächelnd auf schimmernder Tenne
mit dem Mondmaul den Heuduft zerkaun,
wo bist, Freude, du, die ich doch kenne:
nichts zu wollen als liebend zu schaun.
[1918; aus dem Russischen von Adelheid Christoph]
Du Land, dem Regen lieb wie keines,
du mit der Stille, die da streunt...
Die Sichel droben in der Bläue:
Ein Brotkipf ist sie, goldgebräunt.
Das Feld dort, das sie zweimal pflügen.
Die himbeerfarbne Melde, fern.
Ein Wolkenzweig. Und dran, sich wiegend,
die reife Pflaume - er, der Stern.
Ich folg den Meilen, die da kommen,
ich geh die Not bergab, bergauf,
und spür das Korn, als wär jetzt Sommer,
und seh: der Wasserlauf erblaut.
Es raucht der Sumpf, die Nebel treiben,
es singt die Dunkelheit rundum -
Doch deine Hügel, sie - sie bleiben
lebendig, tausendzüngig stumm.
[1917; aus dem Russischen von Paul Celan]
Ich bin der letzte Dichter des Dorfes,
bescheiden ist in Liedern die Brücke aus Brettern.
Ich wohne der Abschiedmesse bei,
bei der die Birken mit ihrem Laub den Weihrauchkessel schwingen.
Mit goldener Flamme wird die Kerze herabbrennen,
die aus dem Wachs meines Leibes gezogen ist,
und die hölzerne Uhr des Mondes
wird heiser meine zwölfte Stunde schlagen.
Auf den Pfad des himmelblauen Feldes
wird bald der eiserne Gast treten.
Seine schwarze Hand wird den grünen Halm des Hafers fortnehmen,
der übergossen ist von der Röte des Himmels.
Ihr nicht-lebendigen, fremden Hände,
wo ihr seid, da können diese Lieder nicht leben!
Nur die Ähren werden trauern
wie Pferde um ihren alten Herrn.
Der Wind wird ihr Wiehern saugen,
wenn er den Tanz der Totenmesse tanzt.
Bald, bald wird die hölzerne Uhr
heiser meine zwölfte Stunde schlagen!
[1920; aus dem Russischen von Ludolf Müller
zur Übersetzung von Paul Celan]
Kein Lied nach meinem mehr, vom Dorf zu singen,
die Bretterbrücke kann nicht mehr ins Lied.
Ich seh die Birke Weihrauchkessel schwingen,
ich wohn ihr bei - der Abschiedsliturgie.
Aus meinem Leib gezogen ist die Kerze,
sie brennt herab, brennt golden und brennt stumm.
Von ihm, dem Mond, der Uhr, der Uhr dort hölzern,
les ich es ab; Die Zeit, Sergej - herum.
Übers blaue Feld kommt er gegangen,
kommt und kommt, der eiserne, der Gast.
Rauft die Halme aus, die Abendröte tranken,
und er ballt sie in der schwarzen Faust.
Hände ihr, ihr fremden, seelenleeren,
was ich sing, wenn ihr es greift, ists hin.
Ach, um ihn, der einst der Herr hier war -: die Ähren,
sie, die wiehern, trauern einst um ihn.
Seelenmessen dann und danach Tänze,
nach dem Wiehern schwingen sie das Bein.
Jene Uhr dort, ja, die Uhr dort, hölzern,
sagts dir bald: Sergej, es ist soweit.
[1920; aus dem Russischen von Paul Celan;
zur Übersetzung von Ludolf Müller]
Der goldene Hain hat aufgehört,
in seiner fröhlichen Birkensprache mit mir zu sprechen,
und den Kranichen, wenn sie traurig dahinfliegen,
ist es um niemanden mehr leid.
Um wen sollte es einem leid sein? Denn jeder in der Welt ist
ein heimatloser Wanderer -
er geht seinen Weg, er kommt herein, und von neuem verläßt er das Haus.
Von allen, die fortgegangen sind, träumt das Hanffeld
mit dem breiten Mond über dem blauen Teich.
Ich stehe allein inmitten der nackten Ebene,
und der Wind trägt die Kraniche fort in die Ferne,
ich bin voll von Gedanken an die fröhliche Jugend,
aber um nichts in der Vergangenheit ist es mir leid.
Nicht leid ist es mir um die vergeblich verschwendeten Jahre,
nicht leid um die Fliederblüte der Seele.
Im Garten brennt der Scheiterhaufen der roten Eberesche,
aber niemanden kann er wärmen.
Die Blütenbüschel der Eberesche werden nicht verkohlen,
das Gras wird nicht daran zugrunde gehen, daß es gelb wird.
Wie der Baum leise seine Blätter fallen läßt,
so lasse ich traurige Worte fallen.
Und wenn die Zeit als Wind in sie hineinfährt
und sie alle zusammenharkt zu einem unnützen Haufen...
so sagt: Der goldene Hain
hat aufgehört, in seiner lieben Sprache zu sprechen.
[1924; aus dem Russischen von Ludolf Müller
zur Übersetzung von Heinrich Stammler]
Die goldnen Schatten auf dem Herbstwald liegen,
Er sprach in seiner Birkensprache gern,
Die Kraniche, die traurig weiterfliegen,
Bedauern nichts und sind dem Schicksal fern.
Bedauern - wen? Wir alle wandern, schweifen -
Du kommst und gehst und läßt das leere Haus -
Es träumt von denen, die die Welt durchstreifen,
Und tief im Teiche lischt das Mondlicht aus.
Ich bin allein. Ringsum der Ebne Stille,
Die Kraniche hat längst der Wind verweht,
Ich sehne mich nach meiner Jugend Fülle,
Und doch ist nichts, das mir zu Herzen geht.
Ich klage nicht um Jahre, die entlaufen,
Um Seelenblüten, duftig und verschwärmt,
Im Garten brennt ein großer Scheiterhaufen,
An dem sich aber keines wirklich wärmt.
Wie auch die Flammen sich zusammenballen,
Das gelbe Ebereschenlaub bleibt fest.
Ich lasse meine Worte traurig fallen,
So wie der Baum die Blätter fallen läßt.
Und wenn die Zeit, im Zeichen neuer Sterne,
Sie einmal wegfegt, anderm Unrat nach,
So sollt ihr sagen, daß der Herbstwald gerne
In seiner Birkensprache zu ihm sprach.
[aus dem Russischen von Heinrich Stammler;
zur Übersetzung von Ludolf Müller ]
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