John Keats
31.10.1795, London - 24.2.1821, Rom.
La belle Dame sans merci
„Was quält dich nur, o Rittersmann,
allein und bleich schweifst du umher?
Der Schilf ist schon verdorrt am See,
kein Vogel singet mehr.
Was quält dich nur, o Rittersmann,
so hager und verzehrt von Leid?
Des Eichhorns Scheuer ist gefüllt,
vorbei die Erntezeit.
Die Stirn, ich seh's, ist lilienweiß,
von Kummer feucht und Fiebertau,
und auf der Wang die Rose welkt
und wird schon grau."
„Ich traf ein Mädchen auf dem Feld,
ein Feengeschöpf - so schön und mild.
Ihr Haar war lang, ihr Schritt war leicht
und ihr Auge wild.
Ich flocht ein Kränzchen für ihr Haupt,
ein Armband auch und duft'ge Spang.
Sie sah mich an, als liebte sie,
und seufzte bang.
Ich hob sie auf mein sanftes Pferd,
nichts andres sah ich auf dem Ritt;
denn seitwärts bog sie sich und sang
ein Feenlied.
Den Tau des Mannas, Wurzeln süß
und wilden Honig sie fand für mich
und sagte in fremder Sprache dann:
‘Ich lieb nur dich.'
Sie führte mich zum Elfengrund,
dort weinte und klagte sie ungestillt.
Doch mit vier Küssen verschloß ich ihr
die Augen wild.
Und dort sie lullte mich in Schlaf,
dort träumte ich - wie wird mir bang! -
den letzten Traum, den ich geträumt
auf kaltem Bergeshang.
Ich sah dort Prinzen und Könige bleich
und bleiche Krieger - bleich jedermann!
Sie schrien: ‘La belle Dame sans merci
hält dich in Bann!'
Ich sah die Lippen mahnend und fahl,
weit aufgesperrt in einem grausen Zwang.
Ich wachte auf und fand mich hier
auf kaltem Bergeshang.
Das ist der Grund, weshalb ich hier
allein und bleich schweif noch umher,
ist auch verdorrt das Schilf am See
und singt kein Vogel mehr."
[aus dem Englischen von Siegfried Schmitz;
zur Übersetzung von Heinz Piontek ]
La Belle Dame sans Merci
Was grämt dich, Mann in Waffen, was?
Du hinkst allein und bleich umher,
Es sank das Schilf am See und singt
Kein Vogel mehr.
Was grämt dich, Mann in Waffen, was?
Du fällst vom Fleisch vor Ach und Weh.
Des Eichhorns Hamsterbau ist voll,
Und der Herbst haucht ade.
Die Lilie auf deiner Stirn
Seh ich von Fiebern feucht und fahl,
Und rasch auf deiner Wange welkt
Das Rosenmal.
"Fand eine Lady querfeldein,
O schönes elbisches Gebild:
Lang war ihr Haar, ihr Fuß war leicht
Und ihr Auge wild.
Ich tat ihr einen Kranz aufs Haar,
Legt Spangen ihr und Gürtel an -
Sie tat sehr lieb, und süß fing sie
Zu klagen an.
Ich hob sie auf mein schnelles Pferd,
Sah diesen Tag sonst nichts im Ried,
Denn seitwärts lehnte sie und sang
Ein zaubrisch Lied.
Sie flößt' mir Saft von Wurzeln ein,
Aus wildem Honig ein Gebräu
Und schwor es mir in fremder Zung:
'Ich lieb dich treu.'
Sie zog mich in ihr Dickicht fort
Und brach in Tränen aus vor mir,
Und dort schloß ich ihr wildes Aug
Mit Küssen vier.
Und dort hat sie mich eingewiegt,
Dort träumt ich Weh und Waffenklang:
Den letzten Traum, den ich geträumt
Auf dem kalten Hang.
Sah Herrscher, Edelleute bleich
Und Kämpen, todbleich Mann für Mann,
Die schrien: 'La Belle Dame sans Merci
Hält dich in Bann!'
Und Mund um Mund verging vor Gier
Und klaffte warnend, weit und bang -
Da fuhr ich auf und fand mich hier
Auf dem kalten Hang.
Und darum harr ich hier noch aus
Und hink allein und bleich umher,
Sank auch das Schilf am See und singt
Kein Vogel mehr.
[aus dem Englischen von Heinz Piontek;
zur Übersetzung von Siegfried Schmitz]
Grille und Heimchen
Die Poesie der Erde endet nie.
Sinkt vor der Hitze auch das Vogelheer
Zurück in kühle Wipfel, so zieht quer
Durch Au und Hecken eine Melodie:
Die Grille ists - ihr schwelgerischer Laut,
Des Sommers Kleinod, funkelt unentwegt!
Sogar wenn keine Lust sie mehr erregt,
Ruht sie noch lustvoll müd im süßen Kraut.
Die Poesie der Erde kann nicht enden.
Am Winterabend, wenn der Frost das Land
Zum Schweigen bringt, erhebt sich heftig schön
Des Heimchens Sang von warmen Ofenwänden -
Und jemand wähnt, vom Schlaf halb übermannt,
Die Grille wärs auf grillengrünen Höhn.
[aus dem Englischen von Heinz Piontek]
An G. A. W.
Nymphe mit lächelndem Blick:
Zu welcher hohen Stunde find ich dich
Am allerlieblichsten? Vielleicht, wenn sich
Dein Wort in süßem Labyrinth verstrickt?
Dann, wenn du heiter hinstreichst und entrückt
Gedanken denkst? Womöglich, wenn du gern
Im losen Hemd begrüßt den Morgenstern,
Die Blumen schonst, sooft dein Tanzsprung glückt?
Wenn du, die Lippen feuchtrot aufgetan,
Betörend lauschst mit angehaltnem Atem?
Ich bin von deiner Anmut so besiegt,
Daß ichs nicht sagen, nicht entscheiden kann.
Wie könnt ich unter Grazien erraten
Auch die Gazelle, der Apoll erliegt!
[aus dem Englischen von Heinz Piontek]
Ode an die Nachtigall
Mir brennt das Herz, mein Geist kämpft schlafbeschwert,
Als hätt mit Schierling ich den Durst betäubt,
Bis auf den Grund ein Opiat geleert
Und sänk an Lethes Rand kristallbestäubt.
Es ist nicht Neid auf deine Gegenwart,
Nur zuviel Glück hat mir dein Glück gezollt:
Dryade du, die Laub und Luft verschönt,
Und mir melodisch zart
In Buchengrün, gehäuftem Schattengold
Aus edler Kehle diesen Sommer krönt.
O gebt mir Wein, der klaftertief versteckt
Gereift im Boden eines kühlen Hangs,
Nach grünem Geist, nach grünem Anger schmeckt
Und nach gebräunter, blendender Provence!
O mein Becher, drin der Süden schwankt,
Drin Hippokrene aufwallt, rot entbrannt,
Und der beschlägt mit frischem Perlenhauch,
Am Mund wie Purpur prangt:
Daß ich ihn leer' und mit dir unerkannt
Die Welt verlaß und in die Waldflut tauch!
Ach, untertauchen und verwehn im Nichts,
Vergessen, was im Laub dich nie geplagt:
Angst, Fieber, Ekel, Schweiß des Angesichts
Hier, wo der Mensch palavert und wehklagt,
Der graue Schopf, erbärmlich dünn, sich neigt,
Wo Jugend bleich und geisterhaft verdirbt,
Wo Denken heißt: sich sorgen, nicht: sich wärmen,
Wo die Verzweiflung steigt,
Der Schönheit strahlend Augenlicht erstirbt
Und Lieb nicht lang vermag, sich drum zu härmen.
Fort! Fort! Zu dir im Untergang des Lichts!
Nicht hinterm Gott, der toll mit Panthern fegt:
Auf transparenten Schwingen des Gedichts,
Hemmt auch der wirre Schädel unentwegt!
Und schon bei dir! Die Nacht fällt linde ein -
O König Mond auf sichelblanker Höh,
Gewappnet scharn die Sterne sich zum Zug -,
Allein hier glimmt kein Schein
Als der vom Firmament, den eine Bö
Wie Funkenflug durch grünes Dämmern trug.
Die Blumen mir zu Füßen seh ich nicht.
Und welcher Weihrauch hängt sich ins Gereut?
Doch ahn die Süße ich auch ohne Sicht,
Die schwelgerisch die Jahreszeit verstreut
In Gras und Dorn, um Früchte, warm und wild:
Das Weiß von Schlehn, kein Staub verdunkelt sie,
Jasmin und Veilchen, blätterüberdacht,
Des Maien schönstes Bild:
Die Moschusrose, tauig funkelt sie -
Tanzplatz der Mücken in der Sommernacht.
Im Finstern lausche ich - ach, oftmals hab
Ich halb begehrt, daß mich der Tod berühr,
Rief ihn mit zarten Namen aus dem Grab,
Daß meinen Atem er ins Blau entführ.
Jetzt mehr denn je wünsch ich den Tod herbei,
Ein Ende ohne nächtliche Beschwer,
Jetzt, da sich deine Seele ganz verglüht
In süßer Raserei!
Du sängst noch fort - dem Tauben, der ich wär:
Ein Klumpen Lehm vor deinem höchsten Lied.
Unsterbliche! Mein Vogel Ewigkeit!
Nein, dich zertritt kein hungriges Geschlecht.
Ich höre deine Stimme in der Zeit,
Wie sie den Kaiser anflog und den Knecht.
Vielleicht ist es das alte Lied, das Ruth
Ins Herz drang, als sie ohne Heimat war
Und Tränen ausgoß über fremdem Korn;
Das Lied, das oft mit Glut
Auf Luken hexte Gischtflug und Gefahr
Des Fabelmeers, im Fabelland verlorn.
Verlorn! O Wort wie pures Glockenerz!
Sein Klang reißt mich von dir zu meinem Leid.
Adieu! Denn Phantasie betört das Herz
So trügerisch nur eine kurze Zeit.
Adieu! Adieu! Dein Schluchzen löst sich rein
Auf Auen, vor des Stromes stillem Gang,
An Halden hin und ruht nun nach und nach
Im hohlen Talgrund ein.
Wars ein Gesicht - ein Spuk? Wie fehlt Gesang!
Ich weiß nicht: Schlaf ich, schlaf ich - lieg ich wach?
[aus dem Englischen von Heinz Piontek]
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