1
sagbar das Dau
doch nicht das ewige Dau
nennbar der name
doch nicht der ewige name
namenlos des himmels, der erde beginn
namhaft erst der zahllosen dinge urmutter
darum:
immer begehrlos
und schaubar wird der dinge geheimnis
immer begehrlich
und schaubar wird der dinge umrandung
beide gemeinsam entsprungen dem einen
sind sie nur anders im namen
gemeinsam gehören sie dem tiefen
dort, wo am tiefsten das tiefe
liegt aller geheimnisse pforte
[aus dem Chinesischen von Ernst Schwarz]
Ist die Führerin des Alls mit Worten anführbar,
so ist sie nicht die ewige Führerin,
ist ihr Name nennbar,
so ist es nicht ihr ewiger Name.
Als Unbenennbare ist sie
die Gebärerin des Himmelsgottes und der Erdgöttin,
als Benennbare ist sie
die Mutter der zehntausend Wesen.
Darum:
Nur wer stets wunschlos, erblickt das Geheimnis,
wer stets wunscherfüllt, erblickt nur ihre Außenbereiche.
Diese beiden sind eins,
aber hervortretend verschiedenen Namens.
Ihre Einheit ist dunkel,
das Mysterium der Mysterien,
aller Geheimnisse Schoß.
[aus dem Chinesischen von Erwin Rousselle]
81
wahre worte sind nicht schön
schöne worte sind nicht wahr
dem guten fehlt die glatte zunge
glattzüngige sind nicht gut
wissende sind nicht gelehrt
gelehrte sind nicht wissend
der weise speichert nicht für sich
und da er andern dient
wächst sein besitz
und da er andern gibt
so mehrt er sich
das Dau des himmels:
nutzen ohne schaden
das Dau des weisen:
handeln ohne streit
[aus dem Chinesischen von Ernst Schwarz]
80
klein sei das land, das volk gering an zahl
so viele werkzeuge es gibt, gebraucht sie nicht!
lehrt das volk den tod scheuen und weites wandern meiden!
gibt es auch boote und wagen
man besteige sie nicht
gibt es auch harnisch und waffen
man hole sie nicht hervor
das schreiben schafft ab
lehrt die menschen wieder quippu-knoten knüpfen
die speise sei ihnen süß
die kleidung schön
die hütten bequem
die sitten fröhlich
die nachbarstaaten liegen dicht beisammen
man hört die hühner gackern, die hunde bellen
und doch verkehrt man bis zum tode
mit seinen nachbarn nicht
[aus dem Chinesischen von Ernst Schwarz]
76
Der Mensch ist bei seiner Geburt biegsam und zart,
bei seinem Tode steif und starr.
Die zehntausend Wesen, die Kräuter und Bäume
sind bei ihrem Entstehen biegsam und saftig,
bei ihrem Absterben trocken und dürr.
Darum:
Hart und starr sind des Todes Gefährten,
biegsam und zart sind des Lebens Gefährten.
Darum:
Sind Krieger starr, so siegen sie nicht,
sind Bäume erst starr, so opfert man sie.
Was starr und groß ist, geht abwärts,
was biegsam und zart ist, geht aufwärts.
[aus dem Chinesischen von Erwin Rousselle]
43
das härteste in der welt -
bezwungen wird es vom geschmeidigsten
das lückenlos undurchdringliche -
durchdrungen wird es vom gestaltlosen
so weiß ich denn:
nicht wider die natur handeln
fördert der dinge gedeihen
aber
belehrung ohne worte
handeln, doch nicht wider die natur -
gar selten trifft man dergleichen
in dieser welt
[aus dem Chinesischen von Ernst Schwarz]
20
tu ab das erlernte, und ohne sorge wirst du sein
wie wenig trennt jasagen von heuchelei!
wie wenig scheidet gut von schlecht!
zu fürchten ist, was alle fürchten
ach, endlos scheint das wirrsal dieser welt
die menge drängt und tummelt sich
als ginge sie zum opferschmaus
als zöge sie zum frühjahrsfest
ich ruhe in mir still und ungeteilt
dem kinde gleich, der mutterbrust noch nicht entwöhnt
ein heimatloser, der nicht weiß wohin
mehr als sie brauchen, haben alle
ich allein vertue, was ich hab
mein herz ist eines toren herz
einfältig dumpf
die menge liebt den glanz
ich allein liebe das trübe
die menge liebt die unterscheidung
ich allein liebe das unterschiedslose
ruhlos wie das meer
ziellos wie der wind
alle tun, als wären sie von nutzen
nur ich bin störrig wie ein tölpel
nur ich bin anders als die andern
und schätz die nahrung an der mutterbrust
[aus dem Chinesischen von Ernst Schwarz]
9
besser ist aufhören
denn überfüllen
die klinge immerfort geschärft
bleibt nicht lange klinge
der saal mit gold und jade vollgestopft
ist nicht vor räubern zu bewahren
glanz und ehren mit hochmut gepaart
ziehn sich selbst ins verderben
zurückziehn nach getanem werk
so ist das Dau des himmels
[aus dem Chinesischen von Ernst Schwarz]
5
himmel und erde kennen nicht güte
wie die opferhunde aus stroh sind für sie alle dinge
die weisen kennen nicht güte
wie die opferhunde aus stroh sind für sie alle menschen
was zwischen himmel und erde ist
gleicht es nicht dem blasebalg?
hohl und doch unversiegbar
bewegt und immer mehr erzeugend
wortreichtum verarmt
wahre lieber das maß!
[aus dem Chinesischen von Ernst Schwarz]
Himmelsgott und Erdgöttin sind nicht menschlich,
für sie sind die zehntausend Wesen wie stroherne Opferhunde.
Der Berufene ist nicht menschlich,
für ihn sind die hundert Sippen wie stroherne Opferhunde.
Der Zwischenraum zwischen Himmel und Erde
gleicht einem Blasebalg:
Leer - fällt er nicht zusammen,
bewegt - bringt er immer mehr hervor! -
Viel Worte zählen als ärmlich,
besser ists, den Inhalt zu bewahren.
[aus dem Chinesischen von Erwin Rousselle]
Laotse
alias Laudzi oder Lao Dse; zwischen 600-400 v.u.Z., China.
Der "Alte Meister" ist eine eher legendenhafte Gestalt, von der sich der Taoismus herleitet. Schon an der Übersetzung des Schlüsselbegriffes Tao (oder nach anderer Umlautung Dau) scheiden sich die Geister: Eine der hier lesbaren Versionen lässt einfach Dau stehen, während die andere "Führerin des Alls" einsetzt.
Auch in der Nische:
Links und ein Wersch-Gedicht in
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