Gespräch mit dem Steuerinspektor über die Dichtkunst
Genosse Steuerinspektor! Darf ich unterbrechen...
Wladimir Wladimirowitsch Majakowski 19.7.1893, Bagdadi - 14.4.1930, Moskau. Gespräch mit dem Steuerinspektor über die Dichtkunst
Genosse Steuerinspektor! Darf ich unterbrechen? Danke ... ich stehe gern ... ich komme privat ... Ich möchte Sie in etwas sehr Heiklem sprechen: wo ist der Platz des Dichters im Arbeiterstaat.
Wie alle Besitzer von Gütern, von Geschäften, besteuern Sie mich auch für meine Mühe. Sie fordern fünfhundert für die Jahreshälfte plus fünfundzwanzig fürs Steuerhinterziehen. Mein Werk ist wie jegliches Werk zu nehmen. Da sehn Sie, wie hoch ich investieren muß, wie groß der Leerlauf in meinem Unternehmen und was mich kostet der Rohstoffverlust. Sie kennen natürlich das Wesen der Reime. Zum Beispiel, eine Zeile endet mit „Papa“, dann muß man die Silben, die folgen, so leimen, daß sich die Enden gleichen wie „tramparapa-pa“. Nach ihren Begriffen sind Reime Wechsel. Fällig je Zeile. Ein Zahlungsversprechen. So suchen wir fade Flexionen, Suffixe in leeren Kassen auf Biegen und Brechen. Wir mühn uns, die Worte in Verse zu pressen, sie bocken und bersten - gespannte Bögen. Genosse Inspektor, bei meiner Ehre, den Dichter kosten Worte ein Vermögen.
Nach unseren Begriffen ist der Reim - Dynamit. Ein Pulverfaß. Die Zeile - lauernde Lunte. Die Zeile zischt, die Strophe explodiert damit, und eine Stadt im Vers geht in die Luft und unter.
Wo findet man, wo und zu welchem Preis, noch seltene Reime, die tödlich schlagen? Vielleicht sind fünf Stück noch möglicherweis in Venezuela zu haben.
Es lockt mich hinaus in Sturm und Nacht. Ich stürze, verstrickt in Schulden, Vorschüsse. Genosse, ziehn Sie den Fahrpreis in Betracht! Dichten ist - ganz! eine Fahrt ins Ungewisse. Dichten ist so wie Radium gewinnen. Ein Gramm gefördert - geschuftet ein Jahr. Man quält sich ab, das Wort zu ersinnen, mit tausend Tonnen toten Inventars. Doch wie verzehrend auch der Worte Glut zugleich mit dem Glimmen von Wort-Erzen, das Wort schafft Leben, durchpulst als Blut tausend Jahre und Millionen Herzen.
Gewiß, es gibt in der Dichterrunde auch Reimer mit flinken Händen! Die ziehn wie Gaukler Zeilen aus dem Munde, aus eigenem und aus fremdem. Von Lyrik-Kastraten schweigen wir lieber: die setzen geklaute Zeilen und sind froh. Das sind gewöhnliche Diebe, Betrüger, sie wuchern bei uns wie anderswo.
Die zeitgenössischen Oden, Gedichte, beifallsgeile Jammerdudeleien, gehen ein als Spesen in die Geschichte auf das Werk von uns zweien oder dreien. Man muß schon, so heißt's, ein Pud Salz vertilgen, hundert Zigaretten werden gepafft, bis man gefördert die kostbaren Silben aus dem artesischen menschlichen Schacht. Sehn Sie, und gleich fällt ihr Steuersatz. Streichen Sie nur eine Null, Genosse! Einrubelsechzig kostet das Salz, einrubelneunzig hundert Papirossi.
Ihr Formular fragt zum Überdruß: „Sind Sie gereist? Und womit gefahren?“ Und was, wenn ich manchen Pegasus zu Tode gehetzt in den fünfzehn Jahren?! Sie fragen für Ihre Steuergebühren nach Dienern, und ob ich reich bin? Und wenn ich ein nationaler Führer und Diener des Volks zugleich bin?
Die Klasse ist unser Wort-Gewissen, wir sind Proletarier, Träger der Feder. Auch Seelenmaschinen werden verschlissen. Dann heißt's: „Ins Archiv, genug geredet!“ Es schwindet die Liebe, der Mut und die Bildung, die Zeit verstopft uns die Hirnkanäle, so kommt dann die schlimmste Schuldentilgung: nämlich des Herzens und der Seele. Und wenn einst die Sonne als fette Sau die Zukunft bescheint ohne Krüppel und Ekel, werd ich schon faulen, gestorben am Zaun, mit einem Dutzend meiner Kollegen.
Ziehen Sie doch posthume Bilanzen! Ich weiß - und ich kann es bekunden: unter den heutigen Bonzen und Schranzen bin allein - ich! - hoffnungslos verschuldet.
Ich muß Sturm heulen aus kupfernem Hals, Sirene im Nebel der Spießer-Schlaraffen. Der Dichter ist immer ein Schuldner des Alls: er zahlt für sein Elend Prozente und Strafen. Ich habe Schulden beim Lichtmeer am Broadway, bei dir, Bagdadis himmlischer Bleibe, bei Kirschblüten Japans, der roten Armee - bei allem, was ich versäumt zu schreiben. Was soll überhaupt die geniale Blähung? Nur - daß der Reim trifft, der Rhythmus erhitzt? Das Dichterwort ist - Ihre Auferstehung, es macht Sie unsterblich, Genosse Kanzlist. Jahrhunderte später, noch einmal geboren, trifft Sie die Zeile aus meinem Buch! Und aufs neue ersteht dieser Tag mit Inspektoren, mit allem Scheinglanz und Tintengeruch. Als Zeitgenossen mit Anspruch auf Ruhm wird die Dichtung Sie ins Ewige fahren und das berechnend legen Sie um meine Honorare auf dreihundert Jahre.
Die Kraft des Dichters bewirkt nicht allein, daß später mal rülpst, wer von Ihnen hört. Nein! Heut und jetzt ist des Dichters Reim Kosung und Losung, Knute und Schwert.
Genosse Inspektor, ich zahle fünf. Weg mit den Nullen, die hinten lauern! Ich verlange mit Recht einen Platz ohne Schimpf in der Reihe der ärmsten Arbeiter und Bauern. Doch wenn Sie meinen, dichten könne jeder, der Worte klaut aus Wörterbörsen, dann los, Genosse, hier meine Feder und machen Sie mal selber Verse!
[1926; aus dem Russischen von Karl Dedecius]
|