15.10.1844, Röcken bei Lützen - 25.8.1900, Weimar.
Auch in der Nische: Links
O Mensch! Gib acht!
Was spricht die tiefe Mitternacht?
„Ich schlief, ich schlief -,
Aus tiefem Traum bin ich erwacht: -
Die Welt ist tief,
Und tiefer als der Tag gedacht,
Tief ist ihr Weh -,
Lust - tiefer noch als Herzeleid:
Weh spricht: Vergeh!
Doch alle Lust will Ewigkeit -,
- will tiefe, tiefe Ewigkeit!"
[1885]
Der Einsame
Verhaßt ist mir das Folgen und das Führen.
Gehorchen? Nein! Und aber nein - Regieren!
Wer sich nicht schrecklich ist, macht niemand Schrecken:
Und nur wer Schrecken macht, kann andre führen.
Verhaßt ist mirs schon, selber mich zu führen!
Ich liebe es, gleich Wald- und Meerestieren,
mich für ein gutes Weilchen zu verlieren,
in holder Irrnis grüblerisch zu hocken,
von ferne her mich endlich heimzulocken,
mich selber zu mir selber - zu verführen.
[1882]
Der Verächter
Vieles laß ich falln und rollen,
und ihr nennt mich drum Verächter.
Wer da trinkt aus allzuvollen
Bechern, läßt viel falln und rollen -,
denkt vom Weine drum nicht schlechter.
[1882]
Meine Rosen
Ja! Mein Glück - es will beglücken -
alles Glück will ja beglücken!
Wollt ihr meine Rosen pflücken?
Müßt euch bücken und verstecken
zwischen Fels und Dornenhecken,
oft die Fingerchen euch lecken!
Denn mein Glück - es liebt das Necken!
Denn mein Glück - es liebt die Tücken! -
Wollt ihr meine Rosen pflücken?
[1882]
Das Sprichwort spricht
Scharf und milde, grob und fein,
vertraut und seltsam, schmutzig und rein,
der Narren und Weisen Stelldichein:
Dies alles bin ich, will ich sein,
Taube zugleich, Schlange und Schwein!
[1882]
Vereinsamt
Die Krähen schrein
und ziehen schwirren Flugs zur Stadt:
Bald wird es schnein -
Wohl dem, der jetzt noch Heimat hat.
Nun stehst du starr,
schaust rückwärts, ach, wie lange schon,
was bist du Narr
vor Winters in die Welt entflohn?
Die Welt - ein Tor
zu tausend Wüsten stumm und kalt;
wer das verlor,
was du verlorst, macht nirgends halt.
Nun stehst du bleich,
zur Winter-Wanderschaft verflucht,
dem Rauche gleich,
der stets nach kältern Himmeln sucht.
Flieg, Vogel, schnarr
dein Lied im Wüstenvogel-Ton.
Versteck, du Narr,
dein blutend Herz in Eis und Hohn.
Die Krähen schrein
und ziehen schwirren Flugs zur Stadt:
Bald wird es schnein -
Weh dem, der keine Heimat hat.
[1884]
|