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      Frank Wedekind 
   24.7.1864, Hannover - 9.3.1918, München.
     
        Der Anarchist  Reicht mir in der Todesstunde Nicht in Gnaden den Pokal!
 Von des Weibes heißem Munde
 Laßt mich trinken noch einmal!
 Mögt ihr sinnlos euch berauschen, Wenn mein Blut zerrinnt im Sand.
 Meinen Kuß mag sie nicht tauschen.
 Nicht für Brot aus Henkershand.
 Einen Sohn wird sie gebären, Dem mein Kreuz im Herzen steht,
 Der für seiner Mutter Zähren
 Eurer Kinder Häupter mäht.
 
 
        Liebesantrag  Laß uns mit dem Feuer spielen, Mit dem tollen Liebesfeuer;
 Laß uns in den Tiefen wühlen,
 Drin die grausen Ungeheuer.
 Menschenherzens wilde Bestien, Schlangen, Schakal und Hyänen,
 Die den Leichnam noch beläst'gen
 Mit den gier'gen Schneidezähnen.
 Laß uns das Getier versammeln, Laß es stacheln uns und hetzen.
 Und die Tore fest verrammeln
 Und uns königlich ergötzen.
 
 
        Enttäuschung  I  Trübe Stunden schleichen sachte Durch die stille Seele mir;
 Glück, das ich zu haschen dachte,
 Wie so ferne bin ich dir!
 Mühsam schleppt sich meine Feder Über ein zerknicktes Blatt,
 Leis bewimmernd, was ein jeder
 Einmal zu verschmerzen hat.
 Wenn den alten Mut ich fände, Fänd ich auch die alte Kraft -
 Ach, die wundgestraften Hände
 Sind auf lange Zeit erschlafft.
 II  Einst lag ich ausgestreckt in wachem Traum, Ermüdet von der Arbeit langer Nächte,
 Da frug ein Kuckucksruf aus hohem Baum,
 Was sich das junge Herz wohl wünschen möchte.
 Der Frage war die Antwort rasch bereit, Nun durfte nichts mir die Erfüllung rauben,
 Und eine unermeßne Seligkeit
 Erwuchs mir aus dem frommen Kinderglauben.
 Des Lebens Sommer ist derweil verblüht Und Hoffnung sah um Hoffnung ich zerrinnen;
 Aus meinem grellerleuchteten Gemüt
 Schlich auch beschämt ein dunkler Wahn von hinnen.
 In diesen Zeilen fand er Unterkunft; Hier liegt er für des Lebens Rest begraben.
 So wird der Mensch ein Krösus an Vernunft
 Und, ach, wie bettelarm durch ihre Gaben!
 
 Tiefer Friede
          Die Tage verblassen, die Stunden zergehn, Die Waffen rasten und rosten;
 Ich bin von vorn und von hinten besehn
 Ein armer verlorener Posten.
 Es kreisen die Dohlen, es kriecht das Gewürm, Die Menschen hassen und lieben;
 Ich bin wie ein alter Regenschirm
 In Gedanken stehen geblieben.
 Staub deckt meine Falten, es wackelt der Knauf, Es wankt das Skelett unterm Knaufe;
 Ich wollte, des Schicksals Hand spannte mich auf
 Und hielte mich unter die Traufe.
 
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