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Kaleidoskope der Mehrdeutigkeit Zur Dichtung Georg Trakls von Werner Schmitt Es knospt Hilde Domin Dieser Annäherungsversuch hieß ursprünglich
„Mehrdeutigkeit als gestaltbildendes Element in Georg Trakls Dichtung“;
Für ihre Unterstützung beim Schreiben dieser Arbeit danke ich Prof. Dr. Lothar Pikulik und Ute Krüger. Das Copyright von KdM liegt bei mir, weshalb der Text
nur privat verwendet werden darf! |
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung 2. Problemstellung anhand
zweier Gedichte 3. Elemente der Mehrdeutigkeit 4. Eros und Thanatos in ihrer
Mehrdeutigkeit |
„Sein Werk, aus reinster Lyrik bestehend, (...) ist von mythischer, magischer Schönheit.“[1] Mit dieser Eloge charakterisiert Otto Basil Georg Trakls Dichtung in seiner, wiewohl dreißig Jahre alten, so doch immer noch gültigen Biographie. Zu Georg Trakls singulärer, geheimnisvoller und tragischer Gestalt ist natürlich ebensoviel geschrieben wie spekuliert, ja hineingeheimnist worden. Die Aufgabenstellung der vorliegenden Arbeit, sich diesem Werk unter dem ihm so wesentlichen Aspekt der Mehrdeutigkeit zu nähern, kann und soll weder ein grundsätzlich neues - was bei der vorhandenen Literatur weder nötig noch möglich wäre - noch ein umfassendes Verständnisangebot versprechen. Vielmehr stellt sie einen Versuch dar, literaturwissenschaftliche Methoden so anzuwenden, daß sie keinen vereinseitigenden Zugriff und den Reiz der Mehrdeutigkeit hinweganalysierenden Sektionsapparat zu entwickeln drohen. Doch wollen wir uns zur Einführung dem Dichter mit einem biographischen Abriß zuwenden, bevor die Rahmenbedingungen der Aufgabe dezidierter vorzustellen sind. |
„Trakls kurzes Erdendasein ist an äußeren Ereignissen
arm, dafür um so reicher an innerlichen Erlebnissen.“[2] So scheinbar zutreffend diese Aussage
ist, so sehr ist bei Trakl die Trennung von innerem und äußerem Erleben
eigentlich widersinnig. |
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„Die Sprache des Gedichtes ist wesenhaft mehrdeutig und dies auf ihre eigene Weise. Wir hören nichts vom Sagen der Dichtung, solange wir ihm nur mit irgendeinem stumpfen Sinn eines eindeutigen Meinens begegnen. (...) Der mehrdeutige Ton des Traklschen Gedichtes kommt aus einer Versammlung, d.h. aus einem Einklang, der, für sich gemeint, stets unsäglich bleibt.“[11] Schon durch dieses Verdikt Heideggers wird evident, daß die Themenstellung eine mehr die These erläuternde und illustrierende als eine hinterfragende, auf Beweisführung zielende Struktur der Arbeit erfordert. Dies bedeutet nicht, daß Mehrdeutigkeit und ihre besonders intensive Verwendung im Falle Trakls, namentlich im Werk der letzten Jahre, als unproblematisches Patentrezept der Deutung fungieren könnte. Vielmehr stellt sie gerade für die Verfahrensweisen literaturwissenschaftlicher Analyse eine Herausforderung dar, derer sich diese aufgrund ihrer zu eindeutigen Ergebnissen und generalisierender Subsumierung tendierenden Intention kaum gewachsen zu zeigen scheint. Da im Rahmen der Arbeit indessen weder Raum noch Anspruch gegeben sind, eine erschöpfend-holistische Interpretation der Dichtungen Trakls vorzulegen - was ein idealistisches Apodiktum wäre -, können manche der Trakl adäquaten Interpretationsmethoden quasi im Experimentalverfahren, gekoppelt mit Assoziation und dem Respekt vor sich dieser Zugriffsweise entziehenden Dimensionen der Poesie, angewandt werden. Das Ergebnis muß eine Art Tautologie sein: Gewiß ist die Mehrdeutigkeit ein gestaltbildendes Element von Trakls Dichtung, gewiß liegt eben darin ihr unerschöpflicher Reiz. Um überhaupt Zugang zu dieser Lyrik zu finden, sind Wahrnehmung und Nachspüren der Mehrdeutigkeit allerdings unumgänglich, weshalb die vorliegende Betrachtung zumindest eine unerläßliche Perspektive, in notwendiger Beschränkung auf einige ihrer Segmente, zu demonstrieren versuchen wird. Zuvor sind noch die Elemente zu bestimmen, welche in Trakls Dichtung polysem sein können respektive Polysemie zu bewirken vermögen. Im Groben läßt dieses Phänomen sich in die Kategorien intern und extern einteilen. Die erste enthält die dem Text als solchem immanenten Mehrdeutigkeiten, wie sie durch Syntax, Interpunktion und Wortwahl bewirkt sind. Diesem Bereich sind auch die scheinbar oder tatsächlich paradoxen und alogischen Vielschichtigkeiten zuzurechnen, die durch Kombination von Motiven und deren Platz im Kontext auch des Gesamtwerkes entstehen. Dazu kommt der rhythmisch-klangliche Aspekt einer Poesie, deren Sprachbehandlung ohnehin nicht auf präzise, monoseme Begriffe und Aussagen oder gar Ergebnisse zielt. Die externe Kategorie von Mehrdeutigkeit meint die zusätzlichen, potentiell auch gegenläufigen Verständniswege, die zu einem literarischen Text hinführen, bezieht man die mythischen/religiösen/weltanschaulichen Einflüsse, das geographische, soziale und kulturelle Milieu, unter denen sein Dichter gelebt hat, mit ein. Dazu gehören außerdem poetische Vorbilder, Vorläufer und Zeitgenossen, eventuell sogar die Wirkungsgeschichte in der Literatur und Literaturwissenschaft. Schließlich gibt es eine Schnittmenge externer und interner Mehrdeutigkeiten. Symbolik und Anspielungen sind zwar immanente Bestandteile eines Textes, doch ist für ihr Verständnis die Referenz auf ihre Grundbedeutung und Verflechtung in ihrer Kulturtradition unerläßlich. Dieser Bereich wird noch ausgedehnt, integriert man die Präsenz einer - von Träumen, Empathie und archetypischen Identifikationen erfüllten - seelischen Realität, eine am besten mit Carl Gustav Jungs Ausdruck ‘kollektives Unbewußtes’ zu fassenden Sphäre. Diese zu beachten ist speziell bei Trakl ebenso reizvoll wie nötig. Ähnliches gilt für den diesem eng verwandten Bereich des Mythischen, zu dem meist Robert Ranke-Graves’ diesbezügliche Schriften als Grundlage verwendet werden sollen. Wie schon angedeutet, durfte nicht jedes dieser vielen - sicherlich noch ergänz- und erweiterbaren - durch Mehrdeutigkeit eröffneten Felder, nicht jede sich anbietende Perspektive eingehender untersucht werden. Da zudem Literatur a priori, besonders wegen ihrer grundsätzlichen Vieldeutig- und -deutbarkeit, nicht bis ins letzte auslotbar ist und Trakls Werk dieses Element extrem innewohnt, da zudem der Analyse von Mehrdeutigkeiten notwendig die Gefahr eines ‘progressus ad infinitum’ anhaftet, mußten Eingrenzungen vorgenommen werden beziehungsweise der Untersuchung eigentlich ebenfalls werte Aspekte außerhalb der Betrachtung verbleiben. Nur so konnten die Stringenz der Argumentation und ein angemessener Umfang gewahrt bleiben. Es handelt sich um folgende Eingrenzungen: 1. Der größte Teil der Betrachtung beschäftigt sich mit
Trakls besonders komplexem reifen Werk, also den Zyklen „Gedichte“ (S.
7-42)[12], „Sebastian im Traum“ (S. 45-83)
und „Veröffentlichungen im Brenner 1914/15“ (S. 87-97). Leider konnten
auch hier nur wenige Einzeltexte zu gründlicherer Besprechung herangezogen
und nicht alle erwähnt werden. Ein Streifen von Frühwerk, Nachlaß, Vor-
und Mehrfachfassungen war nur selten möglich, was jedoch bei der oben
erwähnten Epigonalität von Trakls dichterischem Beginn vertretbar schien.
Aus diesen Gründen war die Benutzung der hochkomplizierten historisch-kritischen
Ausgabe von Trakls Dichtungen und Briefen[13] verzichtbar. Herangehensweise und Aufbau dieser Arbeit sollen, gemäß ihres experimentellen Verfahrens beim Umgang mit literaturwissenschaftlichen Interpretationswegen, in Vorbemerkungen angezeigt oder in die Argumentation integriert werden. Bereits an dieser Stelle intentional auf ein Resümee vorauszudeuten, würde die eben erläuterten Prinzipien untergraben. |
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Fußnoten: [1] Basil, Otto: Trakl, S.
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